Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Leistungsstörungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sind bei bestehenden Bauverträgen jenem
Vertragspartner zuzuordnen, in dessen Sphäre sie fallen. Wer dies ist, entscheidet sich nach § 1168
ABGB oder - sofern vertraglich vereinbart - nach Kapitel 7 der ÖNORM B 2110.
Gemäß ABGB fallen unabwendbare Ereignisse als höhere Gewalt in die neutrale Sphäre, die grundsätzlich
dem Auftragnehmer zuzuordnen ist. Dies gilt dann nicht, wenn der Auftraggeber oder seine Vertreter
ihrer Mitwirkungspflicht (z.B. Planlieferung, Abhalten von für die Leistungserbringung notwendigen
Besprechungen) nicht oder verspätet nachkommen.
Für den Auftragnehmer günstiger ist die Rechtslage, wenn die ÖNORM B 2110 vertraglich vereinbart wurde.
Dann sind Ereignisse der Sphäre des Auftraggebers zuzuordnen, wenn sie entweder
• die vertragsgemäße Ausführung der Leistung objektiv unmöglich machen oder
• zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer nicht in
zumutbarer Weise abwendbar sind.
Hinsichtlich Sphärenzuordnung und Vorgangsweise im Anwendungsbereich der ÖNORM B 2110 ist Folgendes zu
beachten:
1. Sphärenzuordnung
a. Nichtverfügbarkeit von Mitarbeitern
Sind Mitarbeiter nicht verfügbar, weil sie erkrankt sind, Betreuungspflichten zu erfüllen haben oder
aus anderen Gründen der Baustelle gerechtfertigt fernbleiben, so gilt Folgendes:
• Die Nichtverfügbarkeit eines einzelnen Mitarbeiters stellt keine Störung der Leistungserbringung dar
und ist der Sphäre des Auftragnehmers zuzuordnen.
• Die Nichtverfügbarkeit mehrerer Mitarbeiter ist grundsätzlich ebenfalls der Sphäre des Auftragnehmers
zuzuordnen.
• Wenn allerdings außergewöhnlich viele oder gar alle Mitarbeiter nicht zur Verfügung stehen, ist dies
der Sphäre des Auftraggebers zuzuordnen. Unser Zeichen, Sachbearbeiter Durchwahl Datum MW/SN 5225
13.03.2020
b. Behördliche Anordnungen
Ist die Leistungserbringung nicht oder nur eingeschränkt möglich, weil die Baustelle in einem
Quarantänegebiet liegt oder durch sonstige behördliche Anordnungen die Leistungserbringung gestört
wird, so ist dies der Sphäre des Auftraggebers zuzuordnen.
c. Mitwirkungspflicht des Auftraggebers
Kommen der Auftraggeber oder dessen Vertreter ihrer Mitwirkungspflicht nicht oder verspätet nach, so
ist dies auch im Anwendungsbereich der ÖNORM B 2110 der Sphäre des Auftraggebers zuzuordnen.
2. Vorgehen/Anmeldung eines Anspruchs
Im Fall einer Störung der Leistungserbringung, die der Sphäre des Auftraggebers zuzuordnen ist, hat der
Auftragnehmer nach Punkt 7.3 und 7.4 der ÖNORM B 2110 vorzugehen und beim Auftraggeber die Forderung
auf Vertragsanpassung anzumelden (siehe beiliegendes Muster). Auch bei einer rechtlich unsicheren Situation wird
geraten, Ansprüche im Zweifel anzumelden und dies aus Beweisgründen schriftlich zu machen. Wenn das bei
dieser Anmeldung dem Grunde nach noch nicht möglich ist, sind die Forderungen der Höhe nach bzw. die
Forderung nach Verlängerung der Leistungsfrist dem Auftraggeber ehestens zur Prüfung vorzulegen.
3. Neu abzuschließende Bauverträge
Da die ÖNORM für eine Sphärenzuordnung zum Auftraggeber darauf abstellt, dass Ereignisse „zum Zeitpunkt
des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren“, gilt das bisher ausgeführte nicht für Bauverträge,
die noch nicht abgeschlossen worden sind. Sofern rechtlich und tatsächlich möglich wird empfohlen, im
Hinblick auf die Bauzeit großzügige Zeitreserven zu berücksichtigen oder eine Klausel für zeitliche
Verzögerungen und daraus resultierende Mehrkosten aufzunehmen. Generell empfiehlt es sich, die neu
entstandenen Risiken bei der Erstellung der Angebote bzw. bei Vertragsabschluss zu
berücksichtigen.
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